MEIN KLEINES, FEINES REICH

Die wahre Geschichte von Hansemann und Mi

Hörspiel von Gundula Iblher und Katja Langenbach

Bayerischer Rundfunk 2012

Ursendung:
14. Februar 2012, Bayern 2
ca. 55 min.

Regie: Katja Langenbach

Mit: Wiebke Puls, Tim Kramer

Foto von Ulrike Kreutzer

Kleines feines Reich, Regie Katja Langenbach

"Berühmte Menschen müssen immer ihre Memoiren schreiben, veröffentlichen ihre Briefe und lassen alle Welt in ihre persönlichen Sachen hineinsehen. Dann können andere Leute, die keine Briefe schreiben können, sich darüber verbreiten, wie sie alles besser gemacht hätten." Otto Hansen, 1930
"Bin 36-jährig, 1,92 Meter groß und ansehnlich, Wasserwanderer und Liebhaberfotograf, Kaufmann und Idealist", so lautete die Selbstbeschreibung der Heiratsanzeige, die der Hamburger Otto Hansen beim BUND aufgab, der "ersten Treuhandorganisation des Sichfindes". Unter den über 70 Frauen, die ihm mit Bewerbungsschreiben antworteten, war eine mit türkischem Absender: "Maria Heldmann, Guraba Hospital, Istanbul". Sie war eine hessische Pfarrerstochter, die ein für die damalige Zeit ungewöhnlich emanzipiertes Leben führte: unverheiratet und Leiterin einer Schwesternschule im Orient, wo sie für dreißig Mitarbeiterinnen verantwortlich war, dennoch mit der Sehnsucht nach einer "echten deutschen Ehe".
Der Briefwechsel, der sich zwischen "Hansemann" und "Mi" – wie sich die beiden bald zärtlich nannten - entspann, wurde von ihrer Enkeltochter entdeckt. Er ist ein lebhaftes Stück Alltagsgeschichte und gewährt einen privaten Einblick in die bewegte Zeit um 1930 in einer manchmal befremdlich deutschtümelnden Sprache. Der nüchterne Kaufmann und die impulsive Oberschwester versuchen, sich zwischen wagner‘ schem Pathos und technischem Fortschritt zu orientieren, zwischen Emanzipation und Konvention, Naturschwärmerei und Wirtschaftskrise, deutsch-nationalem Idealismus und Kriegstrauma. Ihre Reaktion auf die schwierigen Positionsbestimmungen liegt in einem kaum zu unterdrückenden Bedürfnis nach dem Rückzug ins Private. Und so ist fünf Monate und zahllose Briefe später alles ausgemacht: Maria Heldmann macht sich auf die Reise nach Hamburg zu einem Mann, den sie noch nie gesehen hat. Er soll der "Finanzminister", sie die "Innen- und Kultusministerin" ihres "feinen, kleinen Reiches" werden. Doch diese Liebesgeschichte zwischen zwei einfachen Menschen zeigt, dass sich Privatleben und Zeitgeschehen nicht voneinander trennen lassen. Das Familienidyll scheiterte an den politischen Ereignissen. Nach nur sieben Ehejahren brach der Krieg aus, die junge Familie wurde auseinander gerissen. Acht Monate nachdem sie wieder zusammen fand, starb Maria Heldmann.
"Die Zeit bekommt immer mehr Tempo und wer weiß, wie wir uns noch mal über die tolle Jugend werden wundern müssen, wenn wir ihre Taten an unseren veralteten Ansichten von 1930 messen werden."